Über Dolce Vita

„So sprach Allah zum Südwind, ich will aus dir ein Wesen schaffen. Es soll sein:
Ein Glück für den Guten und ein Unheil für den Bösen! Gnade soll walten auf seiner Stirn und Glück auf seinem Rücken. Es soll fliegen ohne Flügel und siegen ohne Schwert. So schuf Allah das Pferd.“          


Mohammed

Ich bin Dolce Vita, eine Hannoveraner-Zuchtstute, 8 Jahre alt. Zum Schlachten bestimmt. Mein Todestag ist festgelegt auf den 14.11.2011.

Ich bin aber nicht tot. Ich lebe noch. Mein zweites Leben habe ich am 11.11.2011 geschenkt bekommen, mit einem Händedruck zwischen meiner damaligen Besitzerin und meiner neuen Besitzerin. Der Schlachter wurde abbestellt. In mein neues Leben fuhr ich am 15.11.2011. Aber lasst mich von vorn anfangen:

Ich wurde am 10.03.2003 geboren. Meine Mutter war eine hochdotierte Zuchtstute, mit bester Abstammung, wurde aber während der Schwangerschaft mit mir sehr krank und überlebte meine Geburt nicht und so wurde ich Flaschenkind. Meine Besitzerin kümmerte sich vorbildlich um mich und schaffte es, dass ich durchkam. Also hatte mir schon einmal ein Mensch das Leben gerettet. In der freien Natur wäre ich gar nicht geboren worden. Ich bin den Menschen schon dankbar. Das ich nun so bin wie ich bin, hat die Zeit entwickelt. Ich kam dann zu einer Ammenstute. Das klappte am Anfang ganz gut, dann stellte die Ersatzmutter aber die Milchproduktion ein, so dass ich nun beim Menschen aufwuchs. Ich war als Fohlen ganz niedlich. Eine kleine hübsche, manchmal freche Göre. Irgendwann musste ich in den großen Stall. Da waren ganz viele Pferde. Ich fühlte mich nicht wirklich wohl. Mir fehlte mein Mensch, die Aufmerksamkeit, die Zeit, die wir gemeinsam verbrachten. Hier war alles straff durchorganisiert, ich kam mir vor wie eine Nummer. Auch auf meinem letzten Hof vor meinem neuen Leben war ich eine von vielen. Ich hatte zwar immer noch meine Besitzer, die mich groß gezogen hatten, aber die hatten keine Zeit. Sie sind großartige Hannoveraner-Züchter, haben glaube ich über fünfzig Pferde: Stuten und Fohlen, große Wiesen, große Boxenställe. Eigentlich ganz toll, wenn man sich andere Anlagen ansieht. Ich hatte eine schöne große Box mit Außenpaddock. Ist zwar ein wenig zugig, aber ich bin auch nicht allein. Tagsüber durften wir in der ganzen Herde raus auf die Weide, abends ab in Stall, Kraftfutter und Heu fassen.
Ich bin eine Zuchtstute, durfte also auch Babies bekommen. Dieses Jahr hatte ich mein viertes Baby. Meine Nachzucht ist wohl ganz erfolgreich, aber was nützt mir das? Da ich nur Zuchtstute bin, wurde ich nicht geritten. Ich hatte also Langeweile. Aber wenn ich ein Baby hatte, dann hatte ich jemanden für mich. Da durfte ich mich drum kümmern. Klar, dass ich mir mein Baby nicht wegnehmen lassen will. Dann bin ich ja anschließend wieder allein. Ich habe das auch meiner Besitzerin eindeutig klar gemacht. Am Anfang habe ich es nett versucht, mit Ohren anlegen und Drohgesicht. Aber die haben nicht gehört. Selbst als ich sie von der Weide gejagt habe oder ausgeschlagen, gestiegen und gebissen habe, haben sie es nicht verstanden. Meine Besitzerin musste sogar mit Rippenbrüchen ins Krankenhaus. Und trotzdem, auch mein viertes Baby ist nun fort. Ich dachte echt, diesmal schaffe ich es, zu verteidigen. Naja. Nun ist es soweit, dass ich nichts mehr vom Menschen akzeptiere. Ich mag Menschen eigentlich, aber ich hasse sie auch. Und ich bin größer. Wenn die was von mir wollen, bleibe ich einfach stehen, gehe keinen Schritt und mache mich zur Giraffe. Da kriegen die meisten schon Angst. Wenn es nicht reicht und die fangen dann an zu schlagen oder mit Stricken zu wedeln, beiße ich zurück, steige hoch oder schlage aus. Bisher hatte ich damit Erfolg. Ich lasse mich nicht mehr putzen oder die Hufe machen, lasse mich auch nicht mehr vom Arzt oder Hufschmied behandeln, auf den Hänger steige ich auch nicht freiwillig. Zur Seite weichen, ausweichen oder treiben lasse ich mich schon gar nicht. Die können mich alle mal.
Meine Besitzerin meinte, sie kann mich nicht mehr verkaufen, da ich so böse bin. Sie muss aber ihren Bestand verkleinern, weil sie das alles nicht mehr schafft. Also war dann der Schlachter da. Der Termin zur Abholung war festgelegt. Aber eigentlich ist ja meine Besitzerin eine ganz Nette. Sie wollte mich nicht wirklich töten, sie wusste nur keinen Rat mehr. Hätte sie mehr Zeit für mich gehabt, wäre es auch gar nicht erst so schlimm geworden, meinte sie. Und so telefonierte sie sich die Finger wund, ob sie nicht noch jemanden auftreiben kann, der den Kampf mit mir aufnimmt. Zu meinem Glück (Vorerst – erst mal abwarten!) fand sie in letzter Sekunde meine neue Besitzerin. Ich nenne sie Chefin!
Wir sind uns alle einig, dass ich nicht aufgrund von schlechter Haltung, Schlägen, Quälerei oder zu massiver sportlicher Nutzung "kaputt" gegangen bin. Ein anderes Pferd in meiner Lebenssituation hätte vielleicht anders reagiert. Vermutlich habe ich durch die fehlende Mutter, den ständigen Kampf um mein zartes Fohlenleben und dem Aufwuchs beim Menschen größere Anforderungen auf Fürsorge und Betreuung als eine Durchschnitts-Zuchtstute. Ich bin Dolce Vita - keine durchschnittliche Zuchtstute! Das Leben als Dolly endet, das Leben als La Dolce beginnt.