Tragischer Weideunfall mit Dolce Vita
Am 16.06.2016 um 9.00 Uhr holte ich (Chefin) den Wasserwagen von der Koppel zum Auffüllen. Die Pferde standen auf einer Weideparzelle, die ich gestern abend erst geöffnet hatte. Alles war ruhig. Futter genug, kein Gestreite nötig.
Als ich gegen zehn den Wasserwagen zurück brachte und den Koppelgang öffnete, wieherte mir Dolce entgegen. Sie stand beim/im Stroh. Allein. Meine Tochter war neben mir. Wir hörten beide sofort, dass was nicht in Ordnung ist. Scheiße war das erste, was uns aus dem Mund entfuhr. Dolce wiehert immer entgegen. Aber das war ein anderes Wiehern. Da war wieder was passiert. Wir kennen das inzwischen. Leider.
So schnell es ging, fuhr ich mit dem Wasserwagen hin. Der steht auch im Schatten beim Stroh. Dolce kam nicht entgegen. Aber wieherte weiter.
Als wir bei ihr ankamen, sahen wir das Blut schon an ihrer Fesselbeuge. Sie hatte sich irgendwo verletzt. Hängen geblieben, Ein Tritt, keine Ahnung. Es blutete.
Also ab rein in die Anlage und versorgen. Dolce konnte nicht laufen. Aber sie versuchte mit uns mitzukommen. Auf drei Beinen. Mir rutschte mein Herz in die Hose.
Es dauerte ewig. Meine Tochter übernahm sie dann, Ich holte Verbandszeug, warmes Wasser, saubere Tücher, Blauspray. First Aid Tropfen. Das war ganz gut, Denn Dolce beeilte sich deswegen, weil ich nicht mehr zu sehen war. Es war furchtbar, sie hopsen zu sehen. Immer wieder musste sie anhalten und schnaufte und keuchte vor Anstrengung.
Beim Auswaschen sah ich, dass nicht nur Blut floss. Tierarzt!!!! Hier ist mehr als eine Schürfwunde. Die Lahmheit deutete eh schon darauf hin.
Es dauerte noch eine Weile, wir holten uns Campingstühle und leisteten Dolce Gesellschaft, da sie keine Minute ohne uns bleiben wollte.
Die Tierärztin konnte leider nicht Positives sagen. Sie meinte, die Sehnenscheide könnte durch sein, das heißt Klinik. da hätte sie wenigstens eine Chance. Zuhause könnte sie wegen der hohen Infektionsgefahr zugrunde gehen. Die Tränen stürzten uns in die Augen. Klinik. Nicht schon wieder. Bisher hatte ich noch kein Pferd lebend zurück geholt. Mein eigenes Pferd Mayson ist 2012 dort eingeschläfert worden. Pferde von Freunden, die ich hin gefahren hatte, kamen auch nicht zurück.
Nein. Neeeiiiin. Neeeeeeiiiiiiiiiiiinnnnnnn. Keine Klinik.
Wir sind doch Tierheilpraktiker. Wir haben ein Rehazentrum. Dolces Rehazentrum. Es heißt Dolce Vita, weil sie das beste Beispiel für unser Können ist. Sie war doch erst jetzt im Leben richtig angekommen. Sie hatte es geschafft. (Bis auf die Hufe....)
Und jetzt Klinik? Vielleicht Tod? Neeeeeiiiiinnnnn. Ich will nicht.
Nach vielen Tränen und auch sachlichen Überlegungen und Diskussionen entschieden wir uns zu fahren. Es wäre grob fahrlässig, wenn wir sie auf Risiko zu Hause lassen. Wie gut waren wir denn schon. Hätte es für Dolce gereicht? Und wenn nicht? Das können wir nicht beantworten.
Dolce wurde ordentlich sediert. Sie konnte eh kaum gehen, war aber immer noch kontra. So leicht ließ sie sich nicht brechen. Ihr Wille ist eisern. Das ist auch der Punkt, woran ich glaube. Wenn es einer schafft, dann Dolce. Sie ist unbezwingbar.
Das Verladen war eine Tortur für uns. Zu dritt, drei Mädels, zogen wir die sedierte Dolce in den Hänger. Meine Muskeln werden alle im A... sein.
Zwei Stunden Fahrt waren es bis in die Uniklinik. In Leipzig ließ die Sedierung nach, Dolce erwachte und fing an, im Hänger zu randalieren. ich betete, dass alles heil blieb, vor allem Dolce, die Dreibeinige. Völlig erschöpft kamen wir an. ich wurde hin und her gescheucht, bis ich den richtigen Platz fand.
Die Leute dort waren anfänglich sehr reserviert und unfreundlich.
Wir fielen sicherlich in die Kategorie Assi. Wegen Dolces Hufe. Mensch Dolce. Da kam dieses Thema zum Verhängnis. Einmal hatte Dolce die Hufpflege verweigert. Dann hatte ich sie nicht vorgestellt, weil ich gerade extreme Rückenschmerzen hatte. Der nächste Termin stand jetzt wieder an. Aber der Weideunfall kam uns zuvor. Strafe folgt auf dem Fuß....
Dolce ging natürlich ohne mich keinen Schritt. Das dort ist alles schrecklich. Das wollte sie nicht. Aber die Leute dort bekamen gleich ihre erste Lektion in Pferdeverhalten. Denn von ihrem Gebrüll und Besen und Klatschen ließ Dolce sich nicht beeinflussen.
Zuerst klärte ich sie deshalb erst mal auf, dass dieses Pferd kein braves Schulpferd ist, sondern gefährlich. Wenn der Schalter fällt. Sie hat schon einige Möchtegerne in die Ecke befördert. Mit Hoppla, jetzt komm ich, kann es ganz schlecht aussehen. Das sollten sie wissen. Deshalb ging es auch in dem Gespräch über Dolces weitere Behandlung darum, ob sie dort sich mit diesem Pferd auseinander setzen wollen.
Dolce wurde nun untersucht, wobei ich keinen Zentimeter von der Stelle weichen durfte.Sofort knurrte Dolce los oder schrie sogar. Die Ärzte stellten sich dann gottseidank drauf ein. Ich wurde eben mal Schwester.... Sie bekam einen Zugang, der angenäht wurde, damit sie nicht ständig neu gepiekt werden musste. Soviel Gift, wie sie nun hatte, musste wohl auch alles andere töten. Sie wurde geröntgt, ich auch, leider. Dann wurde die Wunde wieder neu verbunden. Ich hielt ihr Bein, sie war so tapfer. Und doch wie ein kleines Kind. Sie lehnte auch immer wieder den Kopf an mich oder meine Tochter. Wie als wenn sie sich versteckte.
Die Auswertung der Röntgenbilder waren ein Schock. Vermutlich schlimm. Ohne OP keine Chance. Die Kosten beliefen sich inzwischen auf 1500 Eur. Wenn es nur die Sehnenscheide ist, würden wir bei 14 Tage Aufenthalt so bei 3 - 4000 Eur sein. Wenn die obere Beugesehne durch ist, wird es teurer. Wenn die tiefere Beugesehne durch ist, dann kommen fix 5-6000 Eur zusammen. Unklar ist dabei, ob sie je wieder lahmfrei sein wird und als Reitpferd einsetzbar. Oder ob sie nach der Narkose ohne sich was zu berechen, aufstehen kann, ob sie die Stützorthese, (das richtige Wort muss ich erst noch einmal erfragen, Castverband oder Carst oder keine Ahnung).akzeptiert. Sie bekommt bei der OP für das andere Vorderbein Gips, damit sie gleich hoch steht. Dadurch können sich weitere Komplikationen ergeben. Infektionsrisiko ist ebenso hoch.
Irgendwann konnte ich nicht mehr zuhören. Ich wurde erschlagen mit schlechten Nachrichten.
Weil viel schlimmer war, ließ Dolce sich überhaupt auf die Behandlung ein? Ich musste ja jetzt gleich gehen.
Wieder Tränen, wo kamen die bloß her. Verdammt. Wie soll ich da nachdenken. Es geht hier nicht um mich. Was bedeutet es für Dolce? Ist es Tierquälerei, ihr keine Chance zu geben? Ist es Tierquälerei, sie in diesen Behandlungsmarathon zu schicken? Wird sie den Glauben an die Menschen erst recht verlieren und alles war umsonst, wenn sie dicht macht? Oder wird sich ihre Einstellung verbessern, weil alle sie hier retten wollen und das spürt sie. Und sie bekommt jeden Tag volle Aufmerksamkeit. Das schaffe ich zuhause nicht. Aber sie steht wieder in einer Box. Die sieht genauso aus wie die, von der sie kam. Alte Erinnerungen? Oh Gott, mein Kopf platzt gleich.
Kurzum, wir haben jetzt eh schon Kosten ohne Ende produziert. Sie geht ab in die OP und wir beten dafür, dass es nicht so schlimm ist. Bisschen Glück kann sie doch auch haben oder?
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Typisch Dolce - ungebrochen! |
Um 18 Uhr verließen wir die Klinik und Dolce wurde in den OP geschoben. Die Heimfahrt war nicht angenehm, obwohl wir zwei nette Tramperinnen noch mitnahmen. Unterwegs kam der Anruf aus der Klinik:
THE WORST CASE - ALLES DURCHGETRENNT. Bis in die tiefe Beugesehne. Einschläfern gleich? Oder wollen sie noch nachdenken?
Ich klammerte die Hände ans Lenkrad. Starrte auf die Autobahn und sagte: Ich fahre gerade, diese Entscheidung treffe ich jetzt nicht.
Zuhause gegen zwanzig Uhr angekommen, versorgten wir die Pferde, als wenn nichts gewesen wäre. Das Gehirn ließ keine Gedanken zu. Wir mussten funktionieren. Es standen hier noch mehr Pferde und Esel. Alle mit ihren eigenen Bedürfnissen. Und die Hunde hatten auch noch Hunger. Hundefutter vergessen zu holen unterwegs. Sch.... Noch mal los. REWE hat bis 22 Uhr auf. Es ist 21.36 und zwanzig Minuten fahre ich. das schaffen wir. Um 21.58 hechteten wir in den REWE, um 21.58 waren wir wieder draußen. Unter 60 Sekunden. Geil....
Auf der Rückfahrt wieder ein Anruf aus der Klinik. Dolce hat es geschafft, aufzustehen. Es war eine sehr schwierige Aufstehphase, der Kreislauf ist auch im Eimer, aber sie hat sich nichts gebrochen.
Oh Mann. Was für ein fruchtbares Drama. Wozu ist das nötig? Warum passiert es immer wieder der schönen Dolce Vita? Dem Flaschenkind, was es doch verdient hätte, ein gutes Leben zu haben.
Morgen fahre ich zu ihr und bring ihr eine Riesenportion Mut und Optimismus mit. Den werde ich schon zusammen kratzen. Für andere reicht das Zeug immer. Und wenn ich die Hoffnung verliere, dann ist eh Schicht. Das darf nicht sein. Aufstehen. Weiter kämpfen.
Eure Anka